Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904 - Seite 87

Buchtitel
Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904
Buchbeschreibung
Kalender und Adressbuch für die Gerichtsbezirke Braunau, Mauerkirchen, Mattighofen und Wildshut.
Fortlaufende Paginierung
87
Original-Paginierung
83 (Arabian)
Werbeseite
nein
Kategorie
Hauptteil
URN
urn:nbn:at:AT-OOeLB-1233501
Content
1 83 „Die Franzosen sind da!" Mit unsäglicher Mühe klomm Tonnerl seinen Berg hinan, und der Holzsoldat sprach immer, wenn er ermatten wollte: „Kamerad, tu Deine Pflicht — Vaterland. . . ." Endlich stand Tonnerl oben. Lang atmete er auf und sog die köstliche Morgenluft ein. Und siehe, unten, im Dämmerschein, wand sich eine blitzende Schlange von Bajonetten, Säbeln, Kanonen, die Heersäule des Feindes. Jetzt vergoldete sie das Mondeslicht noch, nun siel blutig der kommenden Sonne früher Strahl darein — da aber flammte mächtig auf die warnende kühne Feuersäule hoch ob Sankt Leonhard im Passeyerland. Blutrote Antwort kam alsbald vom Etschtal bis zum Zillertal, vom Timblerjoch und Oetzgebirge — Flammen grüßten sich jetzt jauchzend, Flammen reichten sich die Hände. So reichte im Altertum ein Fackelläufer mit Sieges- oder Todesnachricht, zusammenbrechend, dem Nächsten die Leuchte. Alsbald donnerten Schüsse, Felsblöcke auf die nichtsahnenden Eindringlinge hinunter. — Wie das immer ausgieng — Tonnerl begann den noch schwierigeren Abstieg Seinen Soldaten an sich pressend — bald springend, bald stürzend, taumelnd, todtmüde, trunken vor Freude, fiebernd kam er unten an — da traf ihn eine verirrte Kugel in die Brust. — Der Ortsmeister fand ihn blutend vor der eigenen Hütte liegend. „Was hast angestellt! Tonnerl?" fragte der Mann. „Feuer anzunden. vorm Feind gewarnt, Franzosen sind unten im Tal, paßaufwärts steigen sie!" — „Feuer hast anzunden, Dein lieb's Tirol gerettet, das soll Dir nimmer vergessen werden, Tonerl!" Tonerl lachte unter furchtbaren Schmerzen vor Freude über des Ortsmeisters Versprechen." Gizi war müde, und da fuhr Olga, die Blonde, fort: „Ja, und drei Tage hat der arme Tonerl noch gelebt. Man tat alles, um ihn zu retten, aber er lag im Wundfieber." . Das Wunder war geschehen, die Franzosen zogen unten im Thale ab, und Tirol erschien fürerst gerettet. Als Toner! zum Sterben kam, standen der Ortsmeister, der Doktor und der Pfarrer an seinem Lager. Sie sagten: „Tirol wird Dir ewig dankbar sein, für Deine Mutter wird gesorgt," da ging ein Leuchten über sein erdfahl Antlitz — „aber Dir ein Denkmal gesetzt werden." Da schüttelte er sein müdes Haupt und schüttelte es wieder und sprach: „Nein, das laßt! Aber immer um die Mitternachtstund', da denket mein und laßt mich grüßen! Da werd' ich im Geiste unter Euch sein — und danken!" — Damit verhauchte er seine Seele. Mit dem Amt des Nachtwächters ist aber noch heut der fromme Brauch verbunden, der Witwe einzig Kind, den Krüppel Tonerl Tereol, zu grüßen mit den Worten: . j : „Gute Nacht, Tonerl! Tonerl, gute Nacht. — " Lange noch saßen wir bei einander, still, aber ernst plaudernd. Und nun, im Herbstwehen, in meinem stillen Weltstadtzimmer, wie oft noch denk' ich Dein, liebes St. Leonhard im Passeyerthal und Gizis und Olgas, der lieben Mädel aus'm „Posthorn"! 1 III 6*
 
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