Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904 - Seite 86

Buchtitel
Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904
Buchbeschreibung
Kalender und Adressbuch für die Gerichtsbezirke Braunau, Mauerkirchen, Mattighofen und Wildshut.
Fortlaufende Paginierung
86
Original-Paginierung
82 (Arabian)
Werbeseite
nein
Kategorie
Hauptteil
URN
urn:nbn:at:AT-OOeLB-1233491
Content
"T E 1 82 „Gute Nacht, Tonerl, Tonerl, Gute Nacht!" Das stachelte endlich meine Neugier. Ich hörte keine Antwort, sah kein liebend Mädel sich aus dem Fenster des gespenstigen Häusleins beugen, und der alte Nachtwächter, dem ich einmal den Weg vertrat, sagte auf meine Frage: „Was ist denn das für ein Tonerl!" „Oi woas, des is met Amt." Eines Abends, als es zufällig ein wenig geregnet und kein Fremder zum Nachtlager angekommen, erzählte ich mein Erlebnis der alten Wirtin zum Posthorn, neben der die Braune und die Blonde, ihre Töchter, spannen. Da begann Gizi, die Braune, nach einer stillen Weil': „Das will ich schon deuten, wenn Ihr G'duld habt und kein' Störung von außen kommt." Sie trank ein wenig von meinem Roten und begann leise beim Summen der Räder: „Zur Zeit, als Tirol bayrisch war und unter dem Hofer wieder österreichisch werden sollte, und sich gegen die französischen Generale Lefebvre und Baraguay d'Hilliers erhob, da lebte hier im Orte ein Jüngling, Tonerl Tereol, der Sohn einer armen Witwe. Der Bursch war ehrgeizig und hoher Pläne voll, besonders als die Namen der großen Patrioten an sein Ohr schlugen. Es nützte ihm sein schönes Wollen aber nicht viel, denn sein Können war schwach, da er einmal, von der Alm herabgestürzt, auf eines Felsens scharfe Kante aufgeschlagen war und das rechte Bein gebrochen hatte. Nie wurde es ihm recht geheilt. Er blieb ein Krüppel, immer an einer Krücke durchs Dorf hinkend und ein Spott der grausamen Mädchen, die lieber mit gradbeinigen Menschen ein G'schbusi hatten. Er mochte besonders die feine Marei, des Ortsmeisters Tochter leiden, die ihm in der Seele gut war, doch ihn wegen seines Gebrechens und seiner Armut nimmermehr geheiratet hätte, selbst wenn die stolzen Eltern ihre Einwilligung gegeben. — Da war es denn Tonnerls einziger Trost, als die meisten mannbaren Leute gegen den Landesfeind aufbrachen und er nicht mitkonnte, daß er doch an Mareiles Fenster vorüberschleichen und ihr hie und da einen Strauß Edelweiß oder Alpenveigerln hineinschleudern durfte, die er mit doppelter Lebensgefahr brach; denn ihm wurde das Klettern nicht so leicht, wie Ziegen oder gar Gemsen. Oft verkaufte er seine Bleamerln im Thal, hackte Holz für die Nachbarn und verdiente sich sein und seiner alten Mutter Leben durch allerlei Handleistungen. Da lag der arme Bub einmal im Schlaf, und da hatte er einen kuriosen Traum. Der heilige Leonhard stand vor ihm am Bette und rüttelte ihn wach und sprach zu ihm: „Wach ans, Tonnerl! Die Zeit ist da! Die Franzosen kommen! Denk an den Paß; wenn sie den ungehindert erreichen und durchschreiten, ist unser schönes Land ihnen, und Gott weiß, was sie dann damit anfangen!" Tonnerl wußte nicht, wie ihm geschah. Kalter Schweiß rann ihm von der Stirn, bebend stand er auf und sagte nur: „Vaterland. ..." Nachtwandelnd schritt er zur Tür hinaus, nachdem er dem alten Mutterl einen Kuß auf die Stirn gedrückt. Durch wohlbekannte, schwer zu ersteigende Steige, hoch emporführende Höhen, grad aufstrebende Grate hinan, immer an seiner Krücke humpelnd, so gieng er aufwärts. Die Tiroler hatten damals auf allen Höhen große Holzstöße errichtet und in hohlen Bäumen oder sonstwie Brennmaterial bereitet und aufgeschlichtet. Wer Gefahr witterte, sollte ob den Paßhöhen die Scheiter entflammen machen, und hohe Feuersäulen, das Volk zu den Waffen rufend, sollten alsbald von Berg zu Berg mit Flammenzungen reden: Ì! II I
 
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