Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904 - Seite 82

Buchtitel
Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904
Buchbeschreibung
Kalender und Adressbuch für die Gerichtsbezirke Braunau, Mauerkirchen, Mattighofen und Wildshut.
Fortlaufende Paginierung
82
Original-Paginierung
78 (Arabian)
Werbeseite
nein
Kategorie
Hauptteil
URN
urn:nbn:at:AT-OOeLB-1233452
Content
78 „Meine Kinder! Meine armen Kinder! Ich wüßte Niemanden, dem ich sie ans Herz legen könnte, als Dich, Arthur. Nicht wahr, Arthur, Du wirst sie nicht verlassen, Du wirst für sie sorgen um der alten Erinnerung, um der großen Liebe willen, die Du für mich gehegt! Du wirst die letzte Bitte einer sterbenden Mutter nicht unerfüllt lassen, nicht wahr?" Sie hatte mühsam abgebrochen, oft kaum verständlich gesprochen. Er erfaßte ihre Hände mit sanftem Druck. „Ich gelobe es Dir, Helene, meine arme Helene," sagte er mit bewegter Stimme, „sie sollen unter sorgsamer Hut aufwachsen und treuer Elternliebe nicht entbehren. Gott hat mir eigene Kinder versagt, nun sollen die Deinigen deren Stelle einnehmen." i „Dank! Dank!" flüsterte sie; „aber," fügte sie ängstlich hinzu, „was wird Deine Frau dazu sagen?" ___ „O, meine gute Klara," antwortete er warm, „wird sie mit Freuden aufnehmen und sich nach besten Kräften bestreben, ihnen die Mutter zu ersetzen. Sie ist ja die Herzensgüte selbst " Sie atmete auf, wie von schwerer Last befreit. „So bist Du glücklich, Arthur?" „Ja, Helene, ich bin glücklich und zufrieden." „Gott sei Dank," murmelte sie kaum hörbar, „nun kann ich ruhig sterben, Dich weiß ich glücklich und die Kinder in Deiner Obhut gut aufgehoben, so kann ich ohne Bedauern mein verfehltes Leben beendigen." Sie schwieg erschöpft. Plötzlich begann sie unruhig umherzutasten. „Wo sind die Kinder, Arthur? Gretchen, mein Kleiner, wo sind sie?" Doktor Werner rief das Mädchen herbei, nahm den Kleinen und setzte ihn neben die Sterbende auf das Bett und legte die Hand Gretchens auf die erkaltende Hand der Mutter. Diese legte segnend ihre kraftlosen Hände auf die Häupter der Kinder und ihre Lippen bewegten sich leise, wie im Gebet, aber kein Laut kam mehr über die Lippen. Dann glitten ihre Hände langsam auf die Decke zurück, ein letztes leises Röcheln, ein letztes Zucken, die arme Dulderin hatte ausgelitten. Arthur beugte sich feuchten Blickes über sie und schloß mit sanfter Hand die starren Augen. Dann hob er den kleinen Arthur auf seinen Arm und ergriff die Hand des schluchzenden Mädchens. „Gretchen," sagte er mit sanfter Stimme, „Eure arme Mutter ist zum lieben Gott gegangen und mir hat sie die Sorge für Dich und Dein Brüderchen anvertraut. Willst Du mit mir in mein Haus gehen und mich fortan als Deinen Vater betrachten und ein wenig lieb haben?" Das Kind sah ernsten Blickes zu ihm auf. Nach einer Weile nickte sie: „Ja, Sie sind gut und Ihre Frau auch. Meine gute Mutter hätte uns gewiß nicht Ihnen übergeben, wenn sie das nicht gewußt hätte. Ich will Sie lieb haben." Er beugte sich und küßte das Mädchen auf die Stirne; dann rief er die Hauswirtin und teilte ihr mit, daß Frau Heim soeben gestorben sei und er alle weiteren Anordnungen auf sich nehme. Die Kinder würden fortan bei ihm wohnen. Dann nahm er stillen Abschied von der Todten, hüllte den Kleinen in ein Tuch und trug ' ihn die Treppen hinab, gefolgt von dem leise weinenden Gretchen. Bald rollten sie seinem vornehmen, behaglichen Heim zu. Unterwegs kam ihm der Gedanke, was wohl seine Frau zu den Kindern sagen würde, die er nun in ihr stilles Heim brachte. Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie die Kinder mit Freuden willkommen heißen würde; kannte er doch ihre Herzensgüte und wußte er ja, wie sehr sie sich stets nach Kindern gesehnt.
 
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