Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904 - Seite 81

Buchtitel
Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904
Buchbeschreibung
Kalender und Adressbuch für die Gerichtsbezirke Braunau, Mauerkirchen, Mattighofen und Wildshut.
Fortlaufende Paginierung
81
Original-Paginierung
77 (Arabian)
Werbeseite
nein
Kategorie
Hauptteil
URN
urn:nbn:at:AT-OOeLB-1233440
Content
77 liché Bett, in dem eine abgezehrte blasse Frau lag. An ihrer Seite saß ein Kind von einem Jahr und strampselte und krähte ganz vergnügt. Rasch trat Dr. Werner an das Bett heran, gefolgt von dem Mädchen, das das Tuch abgelegt hatte und nun liebkosend ihr Gesicht an das der Mutter legte, während der kleine Arthur jauchzend dem Schwesterchen die Aermchen entgegenstreckte. Die Kranke wollte sich aufrichten bei seinem Nähertreten, sank aber kraftlos zurück. Sie streckte ihm die durchsichtige Hand entgegen, indem sie flüsterte: „Arthur! O ich danke Dir, daß Du gekommen bist. Ich hätte nicht sterben können, ohne Dich gesehen zu haben." Tief erschüttert sank der starke Mann an dem Bett in die Kniee und drückte sein Gesicht auf die Hand der Sterbenden; denn es war eine Sterbende, die vor ihm lag, das erkannte sein kundiger Blick sofort. Nie hätte er in der abgezehrten Gestalt mit dem eingefallenen, farblosen Gesicht und den erloschenen Augen die schöne, glänzende, gefeierte Helene von einst erkannt. Was mochte sie gelitten haben! „Helene, arme Helene!" murmelte er, „warum hast Du mich denn nicht früher gerufen?" Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Arthur, das durfte ich nicht. Ich weiß wohl, Du wärest mir beigesprungen in meiner Not und hättest mir mein Loos erleichtert, obwohl ich es wahrlich um Dich nicht verdient habe; — nein, wahrlich nicht, Arthur," wiederholte sie, als er eine abwehrende Bewegung machte, „ich habe unverzeihlich an Dir und Deiner treuen, starken Liebe gesündigt. Darum habe ich auch nie gemurrt und geklagt über mein Unglück, das ich ja selbst über mich heraufbeschworen habe. Ich betrachtete meine traurige Lage stets als gerechte Strafe für meinen Verrat an Dir und hätte Dich auch jetzt nicht gebeten, zu mir zu kommen, wenn nicht —------------" Sie brach mit leisem Aufschluchzen ab, von Schmerz und Schwäche überwältigt. Er sah, wie sie nur mit dem Aufgebot ihrer letzten Kraft, oft kaum hörbar gesprochen hatte und legte nun beruhigend seine Hand auf die ihrige, die so unruhig auf der Decke zuckte. „Rege Dich nicht auf, Helene, schone Deine Kräfte; ich habe Dir längst verziehen, längst das Leid, das Du mir zugefügt, überwunden. Du warst ja auch die weniger Schuldige, die Hauptschuld trug er, der Dich betörte." Sie nickte. „Ja, ja, betört hat er mich mit süßen Reden und heißen Schwüren, aber seine Leidenschaft erlosch bald. O, ich habe schwer gebüßt, Arthur, und schwer gelitten unter seiner Gleichgiltigkeit und Mißachtung, unter seiner späteren Roheit. Und als ich ihm nach und nach Alles geopfert, was ich besaß, und er nichts mehr aus mir herauslocken konnte, da verließ er mich. Die Aufregung hat mich damals dem Tode nahe gebracht und wohl auch den Keim zu der schleichenden Krankheit gelegt, der ich nun erliege." Ein heftiger Hustenanfall unterbrach die Kranke und drohte sie zu ersticken, und als er endlich 'überstanden war, lag sie, schwer atmend, ganz erschöpft da. Gretchen hatte den Kleinen, der zu weinen begonnen hatte, aus dem Bettcheu genommen und war mit ihm an das Fenster getreten, wo er sich an dem Anblicke der vielen Lichter, die zu ihm heraufleuchteten, ergötzte. Doktor Werner streichelte sanft die kalte, zuckende Hand, vor tiefem Weh unfähig, ein Wort hervorzubringen. Plötzlich hob sie unruhig den Kopf. „Es wird so dunkel um mich, Arthur. Sollte es schon zu Ende gehen? O i Arthur!" Mit einer letzten gewaltigen Anstrengung hob die arme Frau die Hände.
 
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