Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904 - Seite 76

Buchtitel
Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904
Buchbeschreibung
Kalender und Adressbuch für die Gerichtsbezirke Braunau, Mauerkirchen, Mattighofen und Wildshut.
Fortlaufende Paginierung
76
Original-Paginierung
72 (Arabian)
Werbeseite
nein
Kategorie
Hauptteil
URN
urn:nbn:at:AT-OOeLB-1233396
Content
72 Glücklicherweise bleibt mir ein Trost: es kann nicht mehr lange dauern. Dein Benehmen hat mich ganz langsam dahingebracht, daß binnen kurzem die Zeit kommen wird, wo ich deine Quälereien nicht mehr zu ertragen habe. Ja, du kannst lachen. Ich weiß wohl, daß du herzlos genug bist, über alles lachen zu können. Da sieht man deine Liebe, da kann man dein Herz erkennen. Ich sieche hin nnd komme mit sedem Tage dem Grabe näher, obwohl ich kein Wort darüber verliere und er lacht! Was würde es mich anch nützen? — Aber wenn ich nicht mehr bin, daun wollen wir sehen, wie deine zweite Frau dir die Knöpfe einnäht. Dann wirst bu den Unterschied erst erkennen nnd einsehen lernen, was du an mir gehabt hast. Ja, Griesmeier, du wirst dann deiner Ursi gerecht werden, denn ich hoffe wenigstens, daß du dann gar keinen Knopf mehr in deinen Hemden finden wirst. „Nein, ich bin kein rachsüchtiger Charakter; niemand als du hat dies noch behauptet." — Was sagst du? „Niemand hat mich noch so.kennen gelernt wie du?" — Davon ist die Rede nicht. O ich möchte deinen Charakter nicht um alle Schätze der Welt haben. Es ist ein Glück, daß ich nicht so zänkisch bin, wie du, sonst müßten wir ein hübsches Paar abgeben! Ich wollte nur, du hättest eine Frau, die deinen Widerspruchsgeist hätte. Dann könnte es einmal lustig hergehen in der Griesmeier'scheu Haushaltung — dann gäbe es alle Tage Mord und Totschlag. Aber mit mir hast du freilich leichtes Spiel, weil ich wie ein geduldiges Lamm nichts sage und mit Sanftmut deine Ungerechtigkeiten.ertrage. Ich sollte über mich selbst erröten, daß ich mir alles so gefallen lasse. Und als Familienvater gibst dn ein schönes Beispiel. Du wirst deine Söhne ebenso schlecht machen, wie dn selbst bist. Während des ganzen Frühstücks von nichts anderem zu sprechen, als von den Knöpfen! Und noch dazu an einem Sonntag! — Aber du bist ein Mensch ohne Religion, ohne Moral, ohne Gefühl und ohne Geist-. — „Ich soll dir dies beweisen?" Nichts ist leichter. Du hast keine Religion, weil du durch dein zänkisches Wesen den Sonntag entweihst; du hast keine Moral, weil du in Gegenwart der Kinder von deinen Hemden sprichst; du hast kein Gefühl, weil du mich auf die schonungsloseste Weise kränkst und hast keinen Geist, weil du dich nicht über einen abgerissenen Hemdknopf hinwegzusetzen vermagst. Ein verständiger Manu hätte darüber kein Wort verloren. Aber ich weiß, was ich in Zukunft tue: deine Knöpfe mögen alle miteinander ausreißen, ich nähe nicht einen einzigen mehr „Dann wirst du dir jemand anderen suchen, der sie dir einnäht?" — Das soll wohl heißen eine andere. Ah, die Drohung ist nicht übel, sie macht deinem Charakter alle Ehre. Aber darf mich so etwas von dir wundern? — Du bist der Manu dazu, der sich an andere wendet; o was ist dir die Heiligkeit der Ehe, was ist dir der Schwur der Treue, den dn bei unserer Training geleistet hast! Unglückseliger Tag, der mich an ein Monstrum kettete, welches imstande ist, seiner Frau, die sich Tag und Nacht für ihn aufopfert, die sich selbst zur Sklavin für ihn erniedrigt £»at, die mit hingebender Liebe für sein Bestes sorgt, eine solche Drohung ins Gesicht zu schleudern! Aber noch bin ich da, um meine Rechte als ehrbare Gattin zu verteidigen; solange ich noch am Leben bin, soll es dir schwer werden, eine andere zu finden, die dir deine Knöpfe einnäht. Freilich sind meine Tage gezählt, denn legt der Vater meiner Kinder es darauf nicht ab, mich unter die Erde zn bringen? — Wo soll ich armes Weib die Kraft hernehmen, all den Kummer zu ertragen, den ein herzloser Tyrann mir bereitet? — O Griesmeier, Griesmeier, du wirst dein Benehmen gegen mich noch bitter bereuen, wenn dein Gewissen erwacht. — Du wirst dich einst, wenn ich nicht mehr bin, mit dem kalten Angstschweiß auf der Stirne diesen Knopf erinnern. Er wird wie ein Zentnerstein auf deinem schuldbewußten Herzen lasten." — an. an
 
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