Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904 - Seite 59

Buchtitel
Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904
Buchbeschreibung
Kalender und Adressbuch für die Gerichtsbezirke Braunau, Mauerkirchen, Mattighofen und Wildshut.
Fortlaufende Paginierung
59
Original-Paginierung
55 (Arabian)
Werbeseite
nein
Kategorie
Hauptteil
URN
urn:nbn:at:AT-OOeLB-1233229
Content
¦ 55 „So brauchst bu," fuhr Sepp fort, „nicht weiter um mich zu sorgen. Mir wird das fremde Brot nicht so bitter Vorkommen, als du meinst; denn ich weiß, daß ichs nur so lange esse, bis wir beide zusammen unser eigenes essen." „Aber bis dahin kann es noch lange währen," warf Cenzi ein. „Ei was!" meinte der Bursch zuversichtlich, „einen Sägerposten in einem der vielen Sägewerke hier herum kann ich leicht erhalten, und dann heiraten wir, Cenzi." „Aber jetzt," fuhr diese verschämt fort, „dürfen wir nicht mehr länger bei-samen bleiben." „Warum nicht?" „Weites sich nicht schickt. Darum bitt' ich dich, geh' deine Wege; ich geh' dann noch heute' bis Hinterlach zu meiner Base, und morgen schau ich dann weiter. Gelt, du tutst mir die Lieb'". „Was liegt dran, wenn ich auch mit nach Hinterlach geh? Du bleibst bei der Base, ich im Wirtshaus, und morgen sehen wir vanu schon, wie wir's machen." Cenzi erwiderte hierauf nichts mehr, und so setzten sie ihren Weg fort, Pläne für die Zukunft schmiedend. Bald dunkelte es an dem trüben Oktobertage, als sie nach Hinterlach kamen; vor dem Dorfe verabschiedeten sie sich; Cenzi begab sich auf einem Seitenweg zur Base, und Sepp ins Wirtshaus. Am andern Morgen war Sepp schon ziemlich früh auf den Beinen. Er begab sich zur Base, um Cenzi dort zu sprechen. Wie groß war aber sein Erstaunen, als er erfuhr, daß diese bereits fort sei. Die Base wollte sie früh wecken, bekam jedoch keine Antwort. Da trat sie in die Kammer und fand dieselbe leer. „Jedenfalls," fuhr die Base fort, „ist die Cenzi schon auf und davon, als alle im Hause noch schliefen." „Und sie hat kein Zeichen für mich dagelassen?" fragte Sepp. „Nein, gar nichtsk" „Oder Ihr verheimlicht sie bloß vor mir, und sie ist doch noch im Hause!" „Du kannst das ganze Haus durchsuchen," sagte die Base und trat von der Türe zurück. Niedergeschlagen ging Sepp weiter. Warum hatte sie das getan? Wollte sie ihn auf diese Weise zwingen, wieder umzukehren? Aber nun erst recht nicht! Er würde schon ihre Spur finden, ihr folgen und dann nimmer ruhen, bis sie die Seine geworden. Er fragte alle Begegnenden im Dorfe, ob sie nicht die Gesuchte gesehen; aber niemand vermochte ihm Auskunft zu geben. Unschlüssig, wohin er sich wenden sollte, fiel im plötzlich ein, daß Cenzi schon früher wiederholt von Verwandten gesprochen hatte, die in einem Marktflecken jenseits des Berges wohnten, und bei denen sie jederzeit in Dienst treten könnte. Jedenfalls hatte sie sich dorthin gewandt, und da wollte er sie nun suchen. Gleich machte er sich auf den Weg und schritt rüstig aus, um sie vielleicht noch einzuholen. Leute, die ihm entgegenkamen, fragte er auch fleißig nach ihr, aber vergeblich. Am Spätnachmittag kam endlich Sepp in dem Ort an, wo Cenzis Verwandte wohnten; er erkundigte sich gleich bei ihnen; aber auch sie hatten das Mädchen nicht gesehen, wußten nichts von ihr. So waren all seine Bemühungen umsonst gewesen, und er wußte nun vorläufig nicht, was er beginnen sollte. Im Wirtshaus aber traf Sepp einen Sägemüller, der ihm bekannt war. Als dieser hörte, daß Sepp vorhabe, in einen Dienst zu gehen, schlug er ihm vor, bei ihm als Säger und Fuhrknecht einzutreten, bis er etwas Besseres finde. Damit war Sepp einverstanden, und so machte er sich am andern Morgen mit dem Sägemüller nach der Tobelmühle auf der Weg und trat seinen Dienst an. —
 
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