Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904 - Seite 54

Buchtitel
Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904
Buchbeschreibung
Kalender und Adressbuch für die Gerichtsbezirke Braunau, Mauerkirchen, Mattighofen und Wildshut.
Fortlaufende Paginierung
54
Original-Paginierung
50 (Arabian)
Werbeseite
nein
Kategorie
Hauptteil
URN
urn:nbn:at:AT-OOeLB-1233174
Content
50 nehmlich athmet, der tiefen Ohnmacht zu entreißen, in die ihn die Aufregung und der Schrecken hat fallen lassen. Der Schiffer sitzt am Fenster und denkt nicht an feinen Sohn. Ihn bewegt nur ein Gedanke, der alles niederhält und ihm immerfort zuruft: Du bist ein Brudermörder! Die Leute fragen ihn unterschiedlich, ob der Karl auf dem Kahn gewesen sei, was mit dem Jungen geschehen und ob denn der Strick faul gewesen sei. Er aber antwortet nicht und starrt vor sich hin. Vor seinen Augen wallt's irne ein roter blutiger Nebel, und in ihm schwimmt ein Gesicht mit entsagendem Lächeln auf den bleichen Lippen und wendet die Augen nicht von ihm. Heinrich Dönhoff durchlebt Höllenqualen; wenn sein Sohn nicht wäre, so denkt er, würde er sich in die Ruhr stürzen. Aber nein — dann käme die furchtbare Ewigkeit — er muß leben, muß seine Qual weitertragen bis ans Ende. Da schießt's ihm durch den Sinn, ob er nicht dennoch durch schwere Buße sühnen kann. Alles will er tun; aber kann er seinen Bruder wieder ins Leben zurückrufen ? Nein, er kann das nicht. Aber der Herr über Tod und Leben kann dem Rachen des Todes entreißen, wen tr will. An der Tür entsteht eine Bewegung. Er blickt unwillkürlich hin und sieht im Rahmen der Tür seinen todtgeglaubten Bruder. Mit einem Schrei sinkt er zusammen. Als er nach einer Weile die Augen wieder aufschlägt, sieht er Karl über sich gebeugt. „Verzeih'," stammelte er mechanisch. Karl sieht ihn ernst, doch ohne Vorwurf an; „Gott hat es zum Guten gelenkt." Er sagt nicht mehr noch weniger. Dann hilft er seinem Brnder vom Boden ans und führt ihn an das Lager seines Sohnes, der eben die Besinnung wiedererlangt, hat. Das wird jenen, wie er glaubt, beruhigen. Heinrich Dönhoff beugt sich über seinen Sohn und will ihn küssen. Aber das Kind wendet sich mit dem klaren Ausdruck des Abscheues von ihm weg, mit dem Blick des Wissenden. Der Vater seufzt tief auf in schneidendem Weh und wendet sich zur Tür; wie hat er auch nur vergessen können, welche Kluft ihn von allen Menschen, besonders von dem reinen Kinde scheidet? Er ist ein Mörder, auch nun, da Karl gerettet wurde. Und der Wunsch zu büßen und zu sühnen wird wieder stark in ihm. „Karl," sagt er laut und fest, „ich werde bei den Franziskanern in Stockum als Laienbruder eintreten. Mein Vermögen ist nun Dein Eigentum, mein Vermögen und mein Sohn. Ich gehe gleich. Mich vermag keiner zu halten." Und Heinrich Dönhoff schritt durch die Reihen der Staunenden, nahm kurzen Abschied von Bruder und Kind und begab sich auf den Weg nach Stockum. 9, ,
 
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