Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904 - Seite 53

Buchtitel
Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904
Buchbeschreibung
Kalender und Adressbuch für die Gerichtsbezirke Braunau, Mauerkirchen, Mattighofen und Wildshut.
Fortlaufende Paginierung
53
Original-Paginierung
49 (Arabian)
Werbeseite
nein
Kategorien
Hauptteil, Fotografien/Illustrationen/Abbildungen
URN
urn:nbn:at:AT-OOeLB-1233165
Content
H 49 Der Felsen zittert unter der Wucht der anstürmenden Wasser; um den Mörder tobt und rast die Brandung; Gischtflocken schlagen ihm wuchtig wie Peitschenhiebe in's Gesicht und die Wasser heulen wie höllische Geister. Er aber hält stand; beim an der äußersten Spitze des Eilandes muß der Kahn vorbei, den er zum Sarg für seinen Bruder bestimmt hat, und er will seine Rache auskosten bis ans Ende. Da rechts von ihm erscheint ein schwankendes Licht über den Wassern und nähert sich erst langsam, dann schneller und immer schneller — plötzlich flammt eine Lohe auf und erleuchtet die Dunkelheit. Das Feuer ist auf dem Schiff, hart am Mast. „Er verbrennt das Stroh aus den Betten," denkt Heinrich. Schrecken krampst ihm die Brust zusammen; „er will springen," flüstert er, „darum macht er so hell." In der nächsten Sekunde hat er einen schrecklichen Entschluß gefaßt; er tritt nach vorn, an den Rand der wirbelnden Tiefe, mit verzerrtem Gesicht und geballten Fäusten: „Jetzt mag er springen!" Aber was sträubt ihm so plötzlich das Haar und läßt ihn kraftlos zurücktaumeln bis an die Schleusenmauer? Bei den züngelnden Flammen steht Karl, und neben ihm — Heinrich sein Sohn! Jetzthaben sieihn erkannt. Mächtig schallt Karl's Stimme herüber durch Sturm und Wellengetöse: „Heinrich, Heinrich, Dein Sohn ist an Bord!" Er heult auf vor Entsetzen und rennt bis an die Kniee ins Wasser — da schießt die Spitze des Fahr- Aber der Bruder hat eingesehen, daß es für ihn keine Rettung mehr gibt. Zum letztenmale flackert die Flamme auf, da wendet Karl mit einem stillen, ergebungsvollen Lächeln dem Bruder, der den Knaben umklammert hält, sein bleiches Antlitz zu und macht eine ablehnende Handbewegung und sinkt in die Kniee. — Das Feuer brennt nieder, und das Schiff jagt rasend auf das Wehr zu. Noch klingt es laut und kräftig aus den Wellen: „Aus der Tiefe rufe ich zu Dir: Herr, erhöre meine Stimme!" Dann ein Krachen und Prasseln, das minutenlang Sturm und Wasser übertönt — fern, fern schwankt ein trübes Lichtchen hin und her — es erlischt, und Sturm und Wellen singen ihr altes Lied. zeuges um den Felsen, zwei Klafter höchstens vom Land. — „Gib Achtung,Heinrich!" Der Leinläufer schleudert mit übermenschlicher Anstrengung den Knaben in weitem Bogen dem Vater zu — ein paar Schritt vom Ufer schlägt der Körper ins Wasser; der Schiffer faßt einen Arm — sein Sohn ist gerettet k Jetzt nimmt auch der Leinläufer einen. Anlauf — „Spring schnell, schnell," schreit Heinrich Dönhoff in quälender,verzweifelter Reue. ‘ DU v /m 111 m . fe- ll 8. Heinrich Dönhoff hat den leblosen Körper seines Kindes in Schleusenwirtshaus gebracht. Das ganze Haus ist in Alarm und müht sich, den Knaben, der noch ver- 4
 
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