Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904 - Seite 50

Buchtitel
Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904
Buchbeschreibung
Kalender und Adressbuch für die Gerichtsbezirke Braunau, Mauerkirchen, Mattighofen und Wildshut.
Fortlaufende Paginierung
50
Original-Paginierung
46 (Arabian)
Werbeseite
nein
Kategorie
Hauptteil
URN
urn:nbn:at:AT-OOeLB-1233132
Content
46 An einem regnerischen Abend im Spätherbst befand sich eine Gesellschaft von Schiffern in den oberen Räumen des Ankers zu Mülheim. Auf den gebräunten Eichentischen schwammen Lachen verschütteten Branntweins. Dicke Schwaden von Tabaksdunst zogen in blaugrauen Schleiern zu den flackernden trübe brennenden Oellampen, die an eisernen Stäben von den gekrümmten Balken der niederen Decke herabhingen. . >W Es herrschte ein Höllenlärm, in dem man mit Mühe die mannigfaltigen Dialekte und Sprachen zu unterscheiden vermochte. Das Gelage war schon bis zu dem Punkte fortgeschritten, da das Chaos einzubrechen pflegt. Trunkene lagen schreiend und johlend am Boden; ein paar Bayern begannen zu raufen. Heinrich Dönhoff saß am oberen Ende des Tisches, zu seiner Rechten sein Sohn, den er mit Drohung und Gewalt hergenötigt hatte. In diesen! Augenblick erhob sich ein baumlanger Holländer und stimmte mit krähender Stimme ein frivoles Lied an. Der Knabe errötete bis zu den Haarwurzeln; seine Nachbarn lachten ihn aus. Da glitt er gewandt unter dem Tische durch und war durch die halboffene Tür entwischt, bevor ihn jemand hatte aushalten können. „Heinrich!" brüllte der alte Döuhoff, wütend durch das dröhnende Gelächter, das sich erhoben hatte. „Das wird sein Leben lang kein eàter Schiffer!" „Dein frommer Leinläufer macht einen Betbruder aus Deinem Jungen!" -Dönhoff schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Branntweingläser klirrten. Das Trinken und der Grimm hatte das Weiße seiner Augen blutrot gefärbt. „Zum Henker", schrie er, „die Flausen will ich dem Jungen schon austreiben!" „Dann treib' sie dem Karl aber auch aus," setzte der lange Holländer mit einem Tone bei, der verriet, daß er mehr dachte als aussprach. „Was tut ihr so geheimnisvoll?" wetterte Dönhoff. „Heraus mit der Sprache, í 1 oder - Der Bedrohte flüchtete hinter den breiten Rücken einiger Landsleute. „Ich glaub' eben nicht dran, daß Ihr dem Karl auch nur ein Wörtchen sagt." „Warum nicht?" „Er war ja mit Eurer Frau so gut Freund!" „So, so," murmelte Dönhoff, jetzt ganz bleich, aber unheimlich ruhig, „wir werden ja sehen." Der Wirt trat in's Zimmer. „Schiffer Dönhoff," sagte er, „Ihr müßt machen, daß Ihr ruhraufwärts kommt. Im Sauerland ist viel Regen niedergegangen, und der Fluß ist in der letzten Stunde vier Zoll gestiegen!" I : - I 7. Eine Viertelstunde später stand Heinrich Dönhoff auf seinem Schiff, das wie ein scheues Tier an seiner Kette riß. Der Fluß rauschte und gurgelte durch die finstere Nacht. Von den Bergen kam der Wind warm und feucht und brachte von den herbstlichen Wäldern den Verwesungsgeruch des welken Laubes wie eine leise Todesmahnung herübergeweht. „Das Wasser steigt, Herr," meldeten die Leinläufer. „Darum bin ich hier. Marsch, an die Gurten!" Nebenbei fragte er: „Ist mein Sohn hier?" „Wir Hab n ihn nicht gesehen", lautete die Entgegnung. :g
 
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