Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904 - Seite 48

Buchtitel
Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904
Buchbeschreibung
Kalender und Adressbuch für die Gerichtsbezirke Braunau, Mauerkirchen, Mattighofen und Wildshut.
Fortlaufende Paginierung
48
Original-Paginierung
44 (Arabian)
Werbeseite
nein
Kategorie
Hauptteil
URN
urn:nbn:at:AT-OOeLB-1233118
Content
44 werden würde? Wie sagte Anton? „Die Schiffer sind alle fo." Und noch: „Das wird nun wohl öfter so kommen!" „Nein," sagte er sich und preßte die Fäuste gegen seine heftig arbeitende Brust, „das wird nicht mehr so kommen, so lang ich lebe." Darauf fand er Schlaf. Am Morgen trat er ruhig vor seinen Bruder: „Du sagtest, ich sollte zu Dir auf's Schiff kommen; ich nehme Dein Anerbieten an." „Hoho," rief dieser, „ist der Gaul zahm? Das dauert noch gute Zeit, bis die Ruhr offen wird!" „Aber dann, wenn die Schifffahrt eröffnet wird, nimmst Du mich?" „An Bord? Nie!" „Bruder!" „Nein und nochmals nein. An Bord brauchen wir andere Kerle." „Dann laß mich Leinläufer werden!" „Hoho — ist das Dein Ernst?" „Mein voller Ernst." ..Gut — sollst Deinen Willen haben. Wirst Leinläufer — hoho, ein herrliches Leben!" „Stina!" rief er der 'Eintretenden zu, „weißt Du schon das Neueste? Karl hat sich mir als Leinläufer angeboten." „So nimm ihn, wenn's ihm Vergnügen macht," gab Stina widerwillig zurück und hielt die Hand an die geschwollene oder schmerzende Wange. Draußen kam ein schwerbeladener Leiterwagen im Morgennebel angefahren. Der Schnee kreischte und brummte unter den blanken Radreifen, die Pferde dampften und die Peitsche knallte. Der neue Herr hielt seinen Einzug auf Dönhoff's Kotten, und die früheren Bewohner des Hauses machten sich auf den Weg nach Tante Traudchens Hof, die ihnen vorläufig ein Asyl gewähren wollte. t 6. Die letzten Eisschollen trieben krachend und berstend ruhrabwärts, und die Schifffahrt begann. Von den neugestrichenen Kähnen wehte der Frühlingswind den faden Geruch der frischen Farben herüber und spielte mit den bunten Wimpeln, die in der Winterwäsche bleicher und Heller geworden waren. Da zog auch Dönhoff's Schiff ungeduldig an der rostigen Ankerkette, die an allen Gliedern ächzte, bis es eines Tages befrachtet wurde und sich talab in Bewegung setzte. Stina hatte die kleine Kajüte ganz wohnlich eingerichtet, weißen Tüll vor die winzigen Fenster gehängt und die notwendigsten Möbel geschickt verteilt. Silbern schimmerten die rauhen Leintücher des Bettes, das sich m einer niedrigen Nische befand, die sich an die der Thür entgegengesetzte Wand der Kajüte anschloß. Der Verschlag, in dem die Leinläufer nächtigten, lag im Hinterteil des Kahnes. So angenehm und beschwerdelos der schwerbeladene Kahn mit der Strömung des Flusses zu Tal glitt, ebenso anstrengend war das Stromaufwärtsschaffen des leeren Schiffes. Wenn der Westwind wehte, half das Segel, sonst aber zogen Menschenkräfte den Kahn an einem langen Tau wider. Strom und Wellen. Zwar spannten die reichsten Schiffherren hier und da Pferde vor ihre Kähne; aber der Brauch drang nicht durch, denn den wenigsten standen hierfür Mittel zn Gebote, und es hieß, die Tiere litten zu sehr, da sie immer auf einer Seite ziehen müßten. So mußte der Leinläufer die Arbeit verrichten, für die das Tier nicht gebraucht wurde. Leinläufer! DieSchiffsknechte lachten und der niedrigste Kohlenjunge hob den Kopf stolz empor, wenn ein solcher in ihre Gesellschaft trat.
 
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