Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904 - Seite 41

Buchtitel
Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904
Buchbeschreibung
Kalender und Adressbuch für die Gerichtsbezirke Braunau, Mauerkirchen, Mattighofen und Wildshut.
Fortlaufende Paginierung
41
Original-Paginierung
37 (Arabian)
Werbeseite
nein
Kategorie
Hauptteil
URN
urn:nbn:at:AT-OOeLB-1233044
Content
- 37 „Wie kann man nur jetzt schon daran denken," tadelte Karl, „wo der Todte noch über der Erde ist!" „Soll schon drunter kommen, verlaß Dich drauf," gab Tante Traudchen schlagfertig zurück, und die anderen lachten laut auf. „Du würdest wohl alles liegen und stehen lassen, wenn Du an Heinrichs Stelle wärest, und die Hände in den Schoß legen aus lauter Trauer und Wehleidigkeit. Aber das hilft dem Todten nichts und schadet den Lebendigen." „Wann kann die Grube wieder befahren werden?" fragte der Schiffer, während er mit der nervigen Linken auf dem Tischblatt trommelte und mit den kurzen braunen Fingern der Rechten an dem goldenen Ohrring spielte, den er trug, um nicht die Schärfe der Augen zu verlieren. „Das dauert ein paar Monate, menu's niedrig kommt," antworteten die Berginvaliden gleichzeitig. „O je," rief Tante Traudchen, „kannst Du den Ausfall in der Wirtschaft missen, Heinrich?" „Das muß ich wohl lernen," war die Antwort; „mich bringen kein Dutzend Zugochsen mehr in die Grube zurück." „Oho Junge," rief Tante Traudchen, „dann soil's wohl auf Dönhoffs Kotten bald Mathäi am Letzten sein. Mit Deinen beiden Kühen und den neunzehn Morgen Land, unter denen keine Rute Weizenboden ist, willst Du herumkommeu können?" Alle Frauen schüttelten die Köpfe, daß die knisternden Haubenbänder flogen. „Wird schwerhalten!" brummten die Männer. „Und keine Mutter im Haus, die Anna hat aufgekündigt — es geht einfach nicht," schloß Tante Traudchen bestimmt. Jetzt klopfte der Fischer mit dem beringten Zeigefinger an sein Branntweinglas und schrie mit rauher Stimme in die eingetretene Stille: „Heinrich muß den Kotten verkaufen und sich einen Kahn verschaffen. Bringt schönes Geld ein. Er kennt ja was von Kohlen. Oben eine Schiffsladung gekauft, in Duisburg an die Engländer oder Holländer oder Baiern verkauft — bringt gute runde Thaler ein, sechs bis sieben Thälerchen auf eine Fahrt; kannst zwei bis drei Fahrten wöchentlich machen, je nachdem —" „Ich glaube, das ist zu überlegen, Heinrich," meinte Tante Traudchen, die während der Rede Franz Schüttes eifrig mit ihrer Tochter getuschelt hatte. Auch die anderen stimmten bei, außer Karl, der still und nachdenklich auf seinem Stuhle saß. Aber der hatte den geringsten Einfluß auf den neuen Plan. Er war der jüngere Sohn und hatte auf das Vermächtnis seines Vaters nur einen unbedeutenden Anspruch, den Heinrich mit einer kleinen Abfindungssumme beschwichtigen konnte. Als sich die Gesellschaft um den halben Vormittag auflöste, war man im Reinen. Heinrich war entschlossen, den Knappenstand zu verlassen, um Schiffer auf der Ruhr zu werden. Franz Schütte wußte einen Käufer für den Kotten und lud Heinrich Dönhoff auf den folgenden Tag zu sich nach Mühlheim ein, wo man auch den Ankauf eines Kahnes in die Wege leiten wollte. An Stelle der scheidenden Magd sollte Tante Traudchens Tochter auf den Kotten ziehen, den der neue Herr wohl erst int nächsten Frühjahr übernehmen würde. Im Stehen tranken alle noch den letzten Schluck Branntwein, und dann schritten sie in den dichter werdenden Nebel, von den Brüdern bis zur Feldgrenze geleitet, die ein Wässerchen bildete, das in munterem Laufe der Ruhr zurieselte. „Du hättest den Kotten behalten sollen," sagte Karl auf dem Rückwege zu seinem Bruder. -
 
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