Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904 - Seite 103

Buchtitel
Illustrierter Braunauer-Kalender für das Jahr 1904
Buchbeschreibung
Kalender und Adressbuch für die Gerichtsbezirke Braunau, Mauerkirchen, Mattighofen und Wildshut.
Fortlaufende Paginierung
103
Original-Paginierung
99 (Arabian)
Werbeseite
nein
Kategorie
Hauptteil
URN
urn:nbn:at:AT-OOeLB-1233667
Content
T 99 Freudenträne der Seele, die zur Erde fiel und zertreten wurde. So herzvoll war auch der armen, weltvergessenen Krankenpflegerin nicht Glück gewünscht worden, seit ihrem Leben nie. Sie dankte mit schlichten Worten; auch selber dem hohen Herrn zu gratulieren, vergaß sie. Nach längerer Pause unterbrach der Minister wieder das unheimliche Schweigen. „Schwester Philomena sind Sie auch glücklich bei diesem schrecklichen, aufreibenden Dienste?" „Die Menschen suchen das Glück auf verschiedenen Wegen; ich habe es in der Krankenstube gefunden. Gott hat uns Menschen eben so vielfach verschieden geschaffen, und was der eine für eine unerträgliche Last, also das schwerste Unglück und größtes Uebel ansehen würde, ist für den anderen der Anfang und die Stufenleiter zu immer größerer Befriedigung. Wenn ich durch gewissenhafte Pflege, durch religiöse Trostsprüche, durch Geduld und Nachsicht in einem Kranken edlere Gefühle erwecken kann, seine Seele mit Trost und himmlischen Vertrauen zu erfüllen vermag, den Eltern ein liebes Kind, Kindern die teure Mutter erhalten kann oder den Vater, auf dessen kräftige Hand, oder geistige Kraft die ganze Familie angewiesen ist, einen Wohltäter der armen Menschen, ein bedeutendes schöpferisches Talent, einem Reiche seine großen, verdienstvollen Männer retten kann, so ist das für mich ein so schöner und so reicher Lohn, daß ich mir keinen besseren wünschen kann, außer den, den nur der liebe Gott geben kann. Exzellenz, da drinnen ist der Mensch der Kopf allein tut's nicht. Wie glücklich werde ich mich fühlen, wenn Exzellenz wieder hergestellt sind ..." „Und Sie, arme Schwester, vielleicht unter die Erde gebracht habe. Schwester, Sie machen mir bange. Sie sehen so angegriffen und leidend aus — Sie husten auch etwas. Sie müssen sich mehr schonen, mein Herz verträgt das nicht länger," fiel ihr der Kranke in die Rede. „Wem und was kann an meinem Leben gelegen sein, Exzellenz, am Leben einer Klosterfrau," entgegnete lachend die Schwester. „Exzellenz, ich werde aber vom Herrn Doktor recht Vorwürfe bekommen, daß ich nicht besser aufgeschaut habe auf Sie. Exzellenz regen sich zu viel auf; statt zu reden, sollten Exzellenz ruhig schlafen." — „Wem an Ihrem Leben etwas liegt? Mir, Schwester Philomena, der ganzen Hauptstadt, vielleicht dem ganzen Lande. An Ihrem Leben hingen und hängen viele andere — an Ihnen ist es, sich vor allem zu schonen für andere. Eine gute Krankenpflegerin wie Sie, ist sicher so viel wert wie .... wie ein schlechter Minister," sprach der Kranke weiter und lächelte bei den letzten Worten. „Ja, wie ein schlechter Minister." „Exzellenz, es geht bald auf 1 Uhr und wir unterhalten uns so gut wie die anderen Leute." „Viel besser, viel vernünftiger, als viele, die meisten. Schläft der Herr Doktor?" „Nein, Exzellenz, er ist auf kurze Zeit zu seiner Familie nach Hause gefahren, während Sie geschlafen haben; da er die Ueberzeugung mitnahm, es sei das Aergste überstanden." „Gott sei Dank, Schwester Philomena, was Sie für einen schönen Namen haben! Es ist überstanden. Ich bitte Sie, noch ein's . . . können Sie auch beten, nämlich so beten, wie es die Mutter mit mir getan, als ich noch ganz klein war? Die arme Mutter! Ich habe es wieder verlernt!" Ohne Säumen stellte sich die Schwester zum Bette, machte dem schwer kranken Herrn das Kreuzzeichen auf Stirne, Mund und Brust, faltete ihm die Hände, richtete ihn etwas im Bette auf, kniete sich nieder und betete vor, so, wie einst die Muttrr ihm getan, als er im Kinderbette lag. Wie lange sie gebetet, wer weiß es! „Wenn die kleinen Kinder gebetet haben, Exzellenz, müssen sie dann schlafen gehen." „Gute Nacht, guten Morgen, Exzellenz" — und fort war sie. „Die Neujahrsnacht eines glücklichen Einsamen," murmelte er und legte sich ruhig nieder. Als der Doktor kam, fand er ihn zwar sehr aufgeregt, geschwächt, aber nicht schlimmer. Die Schwester kniete am Betschemel und weinte Freudentränen. . ¦ I I ; n V 7*
 
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